Initiative Haubrich-Forum too late Das Loch European Kunsthalle

Plädoyer für den Erhalt der Kunsthalle

16.10.2002. Plädoyer von Siegfried Gohr für den Erhalt der Kölner Kunsthalle und des Kunstvereins. Eine gekürzte Version erschien im Kölner Stadtanzeiger.

Abriss oder Erhalt -

...seit Monaten beschäftigt diese Frage die Kölner und die weitere deutsche Öffentlichkeit. Besonders seit sich eine prominent besetzte Protestgemeinde gegen den Abriss zusammengefunden hat und deren Stimmen deutlich vernehmbar wurden, tat sich etwas. Die Lethargie, die seit langem in der Kunsthallen-Diskussion zu spüren war, scheint verschwunden. Vorher hörte man immer wieder die Meinung, dass der Abriss nicht zu verstehen, aber ja wohl beschlossene Sache sei. Natürlich gibt es einen alten Ratsbeschluss, aber seit wann sind solche Beschlüsse nicht mehr zu verändern und statt dessen wie Schicksalssprüche hinzunehmen? Es fehlte die Kraft, eine Fehlentwicklung in Frage zu stellen oder einen kulturpolitischen Irrtum zu korrigieren. Es ist zu vermuten, dass hier öffentlich nicht diskutierte Interessen sich gegenseitig stützen. Aber jetzt scheint eine neue Chance zu entstehen. Einige Gründe, warum die Chance genutzt werden sollte.

Je länger man über das "Kulturzentrum am Neumarkt" nachdenkt, desto weniger erscheint das kulturpolitische Konzept tragfähig. Gerade ein Kulturzentrum muss in sich sinnvoll strukturiert sein, um als solches wirken zu können. Aber wo ist der gemeinsame Nenner für die vorgesehenen Institute zu finden? Ist uns das Mittelalter schon soweit entfremdet, dass wir es wie eine europäische Variante von Stammeskunst wahrnehmen sollen? Ist der Kunstverein nicht ein Ort beweglicher Diskussion des Jetzt und lebendiger Treffpunkt, der im Kellergeschoss weiß Gott nicht gut aufgehoben ist? Sollte die Kunsthalle und das gesamte Areal nicht endlich der gezielten Verwahrlosung entrissen werden, damit sie wieder das Profil gewinnt, um mit Düsseldorf und Bonn konkurrieren zu können? Beweist zum Beispiel nicht das Museum für Ostasiatische Kunst, wie gut man aus einer scheinbar exzentrischen Lage einen Gewinn erzielen kann? Die Lobby des Rautenstrauch-Joest-Museums handelt sicher seit Jahren in bester Absicht, wenn sie so vehement für die Realisierung des Neubaus am Neumarkt plädiert. Aber wäre es nicht doch klüger, am angestammten Platz, erweitert und renoviert, das Glück der Zukunft zu suchen, statt in eine einfallslose Schachtel zu ziehen, die neu ist, aber keine wirkliche Steigerung des architektonischen Rahmens der großartigen Sammlung verspricht? Hier droht ein Pyrrhus-Sieg.

Das zusammengewürfelte Kulturzentrum am Neumarkt wird bei Lichte betrachtet keines werden. Es ist ein politisch-funktionalistischer Irrtum, der rückgängig gemacht werden muss. Augen zu und durch - das ist eine fatale Haltung, wenn die politische Nervenkraft nicht für die beste Lösung reicht. Es kommt etwas weiteres hinzu: Die Kölner halten sich viel auf ihr Traditionsbewusstsein zugute. Kaum eine offizielle Rede oder Veranstaltung kommt ohne den verbalen Stolz auf Geschichtsbewusstsein und das verpflichtende Erbe der eigenen Stadt aus. Die Diskussion um die Kunsthalle zeigt jedoch auf demaskierende Weise, dass das städtische kulturelle Gedächtnis nur äußerst selektiv funktioniert. Fast könnte man meinen, dass nur dasjenige gerne und aktiv erinnert wird, was einen Gemütlichkeitsbonus verbreitet oder vaterstädtische Gefühle bedient. Wenn es jedoch um ein Bau-Ensemble geht, das mit dem Aufbruch der sechziger Jahre verbunden ist, wirkt das kulturelle Gedächtnis seltsam blockiert und ungerecht. Es ist seit einiger Zeit Mode, die Architektur der sechziger Jahre zu verhöhnen. Natürlich ist uns der Fortschrittsglaube, den die Bauten von damals verkörperten, abhanden gekommen. Aber gut in Schuss gebracht und dauerhaft gepflegt, verdienen diese Gebäude nicht weniger Respekt als andere Bauten der Stadterneuerung aus dieser Zeit. Aber das Ensemble am Neumarkt hat ja noch seine besondere Geschichte.

In der Kunsthalle und dem benachbarten Kunstverein wurde Kunstgeschichte und Rezeptionsgeschichte geschrieben. Nicht nur "Happening und Fluxus" oder "Cologne sentimental" von Daniel Spoerri, nicht nur der Einsatz für die Videokunst und die Kölner Szene sind ins Bewusstsein zu heben. In der Kunsthalle fanden u. a. die ersten Retrospektiven von Baselitz, Lüpertz, Polke, Antonius Höckelmann, Jasper Johns, James Rosenquist, Dan Flavin statt. Andere wichtige Impulse gingen von Ausstellungen aus, die Künstler oder Epochen neu bewerteten. Solche Projekte galten der Skulptur des Expressionismus, Jean Fautrier, Max Beckmann, Lovis Corinth, dem Spätwerk von Léger, dem Kubismus, Paul Klee, Pablo Picasso und vielen anderen Themen. Archäologische, kulturgeschichtliche und völkerkundliche Ausstellungen zogen Hunderttausende von Menschen an: "Römer am Rhein", "Rhein und Maas", "Die Parler", "Das neue Bild der alten Welt", "Der Dom im Jahrhundert seiner Vollendung", "Sahara", "Die Braut", "Das heilige Bildnis", "Sho" und so weiter.

Die Ausstellungen hatten meistens auch einen übergeordneten Sinn innerhalb der kulturellen Diskussion Deutschlands und darüber hinaus. Der Europa-Gedanke, die Öffnung zu außereuropäischen Kulturen, die Rehabilitation des 19. Jahrhunderts, die Leistung der modernen Archäologie, Rollenveränderungen in der Gesellschaft wurden in den Ausstellungen reflektiert. Die Kunsthalle bot eine Plattform für die anstehenden Debatten und stellte Material und Perspektiven bereit. Statt abzureißen und bei leeren Kassen auf einen ungewissen Wiederaufbau zu setzen, sollte das Ensemble am Neumarkt renoviert werden, vernünftig mit Personal ausgestattet werden und attraktive inhaltliche Arbeit leisten. Übrigens: Die Düsseldorfer Institute zeigen augenblicklich mit Miró und dem Surrealismus, wie das geht.